Rad. Ross. Rotwein.

Hobbys sind wichtig, sie helfen gegen Freizeit. Manchmal tarnen sie sich auch so geschickt, dass man sie nicht sofort als Hobbys erkennt. Es gibt Menschen, die sitzen einfach nur da. Oder sie sitzen da und trinken. Trockenen Rotwein zum Beispiel. Der hilft besonders gut gegen Freizeit. Auf die Idee, das als Hobby zu bezeichnen, kämen sie aber nicht. „Radfahren, Reiten und Trinken“, nein, so etwas würde niemand ins Poesiealbum schreiben.

Der Trinker wird kaum akzeptiert. Dabei bietet sein Hobby mehrere Vorteile. Es macht auch bei Gegenwind noch sehr viel Spaß, oder wenn die Kette kaputt ist. Man muss sich nicht ständig darum kümmern, dass die Lichtanlage funktioniert, im Gegenteil, viele suchen sogar gezielt den Schutz der Nacht. Und, besonders wichtig, man muss kein schlechtes Gewissen haben, wenn man beim Saufen keinen Helm aufsetzt. Obwohl jeder genau weiß, dass es vernünftiger wäre.

Der Fahrradfahrer ist zwar häufiger an der frischen Luft, sieht aber im direkten Vergleich trotzdem wenig Land. Der Reiter kann dem Trinker erst recht nicht das Wasser reichen. Sein Hobby ist voller Hindernisse. Er ist frustriert, wenn der Gaul lahmt, beispielsweise, weil er mit seinen absurd vielen Beinen über ein kaputtes Fahrrad gestolpert ist oder weil er zu wenig getrunken hat. Regelmäßiges Trinken hält nicht nur Pferde auf Trab, sondern auch Körper und Geist. Nur ein gut geführter Flüssigkeitshaushalt versetzt den Menschen in die Lage, komplizierte Situationen zu meistern. Ersetzt man feuchten Schweiß durch trockenen Rotwein, nimmt man sie nicht einmal als kompliziert wahr.

Radfahrer und Reiter verlassen sehr schnell die Kräfte, wenn sie nicht ausreichend trinken. Auch Trinker überkommt die Müdigkeit irgendwann, sogar völlig unabhängig davon, ob sie im Sattel sitzen oder nicht. Das kann man vielleicht nicht als Vorteil sehen, es ist aber Fakt. Etliche Menschen haben sich bei Stürzen von Rad oder Ross schwere Verletzungen zugezogen. Der Trinker genießt die Gnade der geringen Fallhöhe, oft ist er jedoch sehr müde und unkonzentriert, wenn er fällt. So gleicht sich das ein wenig aus. Schlägt sein Schädel dumpf auf den schmutzigen Kneipenboden, gibt es selten Zeugen. Zumindest keine, die sich am Tag darauf noch erinnern können, was eigentlich passiert ist. Hohn und Spott bekommt man überall, nie aber eine Erklärung. Höchstens den Ratschlag „Hättest mal besser ’nen Helm getragen.“

Auch existiert von solchen Unfällen grundsätzlich niemals Filmmaterial. Weil paradoxerweise ausgerechnet Kameramänner gerne sehr viel trinken. Ausgelaugte Kameramänner, die am Nachmittag noch einfangen mussten, wie einem Profiradfahrer bei Tempo 70 der Lenker bricht. So was will im Grunde auch keiner sehen, bei der Zeitlupe schaut man dann aber trotzdem nicht weg. Das Punktetrikot ist fort, das Schlüsselbein entzwei, der Ellbogen zersplittert. Da hilft auch kein Helm.

Reiten ist noch gefährlicher. Das wird sehr gern verdrängt, vor allem von Trinkern. Die sitzen nämlich am Sonntagnachmittag benebelt vor dem WDR und wundern sich, dass es Menschen gibt, die das Wort „Anmut“ benutzen dürfen und trotzdem dafür bezahlt werden. Pferdesport hält man nüchtern nicht aus.

Der Kommentator wird nur dann lauter, wenn ein Gaul sich verweigert. Wenn er am vorletzten Oxer panisch den Reiter abwirft, um dann aus Trotz doch noch hinterher zu springen. Meist landet das riesige Tier dann mit seinen absurd vielen Beinen genau auf dem zerbrechlichen Sportler, oft rutscht dem Trinker augenblicklich der trockene Rotwein aus der Hand und entwertet die Auslegeware. Oder er flüchtet in die winzigen Spalten des schlampig verlegten Laminatbodens und lässt ihn aufquellen wie seinen Besitzer. Dem ist das aber völlig egal. Er ist einfach nur glücklich, dass es so schöne Zeitlupen gibt. Und dass sein Hobby nicht so riskant ist.

Der Trinker ist selten ein Draufgänger, zumindest nicht objektiv. Sein Hobby gibt ihm Schutz, es ist zudem ein hervorragendes Mittel gegen Freizeit, gegen die vielen Unwägbarkeiten des Alltags, gegen das Erinnern und gegen die Altersarmut. Wahrscheinlich ist es auch der Grund dafür, dass erwachsene Menschen niemals Poesiealben haben. Schade eigentlich.

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