It’s the #Stadionwurst, stupid!

Jedes Wochenende finden in Deutschland Tausende Fußballspiele der verschiedensten Alters- und Güteklassen statt – an einem Dezemberwochenende habe ich mir drei davon angeschaut. Ein Plädoyer für den Stadionbesuch.

Eigentlich wollten wir doch nur eine Freundin besuchen. Münster anschauen, über alte Zeiten quatschen. Was man halt so macht. Bis sie die Idee präsentierte, wir könnten auch zum Preußenstadion rausfahren. Münster gegen Paderborn, Stichwort „Westfalenduell“. Das klingt erstmal nach großer Rivalität, klassisch sind allerdings die Derbys mit Arminia Bielefeld bedeutender, in jüngerer Vergangenheit auch die mit dem VfL Osnabrück.

Preußen Münster – SC Paderborn 0:1 (0:0)
Liga, 18. Spieltag
Samstag, 14:00 Uhr

FOTO Preußen Münster v SC Paderborn

Und dann steht man eben 20 Minuten vor Spielbeginn auf der etwas abgewohnten, aber immerhin überdachten Stehplatztribüne K. Das Preußenstadion ist aus den Zwanzigern, noch mit einer Laufbahn und echten Kurven. Es nieselt und aus den Lautsprechern dröhnt eingängiger Schrammelpunk, der schon beim ersten Refrain zum Mitgrölen einlädt. Auch die Wurst überzeugt („Westfalen ist Schweineland“). In anderen Worten: Es ist alles wunderbar aus der Zeit gefallen. Ein herrlicher Fußballnachmittag – bis das Spiel beginnt.

Hier trifft der 14. auf den 18. der dritten Liga und so sieht es leider auch aus. Es entwickelt sich, was aus Mangel an Torchancen gern „eine intensive Partie“ genannt wird. Viele Zweikämpfe, kaum Strafraumszenen, eigentlich ein heißer Kandidat für ein 0:0. Ich ertappe mich dabei, wie ich regelmäßig rechts hinaus zur Gästekurve schaue, neugierig, ob der Paderborner Capo mit seinem mittelblauen Megaphon wohl seine wacklige Position zwischen Zaun und Werbebande bis zum Abpfiff halten können wird.

Nach 71 Minuten fällt doch noch ein Treffer, weil sich die Gastgeber nach einem eigenen Freistoß auskontern lassen. Ein einziger langer Pass zerteilt das Zentrum, Paderborns Ben Zolinski bedient Zlatko Dedic, der ehemalige Bundesligaprofi (VfL Bochum) schiebt souverän rechts unten ein. Die Schlussoffensive der Möhlmann-Elf bleibt anschließend ohne Erfolg. Game over. Preußen Münster bedankt sich bei 7.774 Zuschauern.


HSV Barmbek-Uhlenhorst – Niendorfer TSV 2:0 n.V.
Hamburger Verbandspokal, Achtelfinale
Sonntag, 14:00 Uhr

FOTO HSV BU v Niendorf

Spiel zwei, 24 Stunden später, wieder zurück in Hamburg. Im Stadtteil Barmbek duellieren sich zwei Fünftligisten um den Einzug ins Viertelfinale des Verbandspokals. Dessen Sieger darf immerhin im Spätsommer 2017 in der ersten Runde des DFB-Pokals antreten. Gastgeber Barmbek-Uhlenhorst hat nicht nur eine bunte Vergangenheit und ein schickes neues Stadion mit Kunstrasen, sondern auch das großartigste Vereinslied der Welt. „Mein letztes Geld“ sind an diesem Tag genau sechs Euro. Dafür gibt es im Tausch immerhin 120 Minuten Fußball, die beiden Oberligisten mühen sich torlos in die Verlängerung.

Der Neubau hat nur eine einzige Tribünenseite. Wechselgesänge („Barmbek!“ – „Uhlenhorst!“) werden deshalb zwischen dem überdachten und dem nicht überdachten Teil ausgetauscht. „Ohne ‚Nien‘ wärt Ihr nur ein Dorf“ wird früh im Spiel skandiert und mit einem zufriedenen Lachen abgerundet. Es regnet immer mal wieder, die Wurst überzeugt ebenfalls.

Im direkten Vergleich mit dem Spiel am Vortag in Münster fällt schnell auf: Mit dem Ball umgehen können die Amateure auch ausnahmslos, athletisch aber halten natürlich weder die Barmbeker noch die Niendorfer mit den Profis mit. 302 zahlende Besucher sehen die entscheidende Situation nach 86 Minuten, als ein Gästespieler nach einem harten Foulspiel vom Platz fliegt. Aus meiner Perspektive hätte es Gelb auch getan, aber Zeitlupen und zusätzliche Kameraeinstellungen gibt es hier eben nicht. In der 115. und der 120. Minute fallen schließlich die beiden Treffer, die BU ins Viertelfinale bringen. Der Rest ist blau-gelber Taumel.


FC Schalke 04 – Bayer Leverkusen 0:1 (0:0)
Bundesliga, 14. Spieltag
Sonntag, 17:30 Uhr

Noch einmal 60 Minuten später, im heimischen Wohnzimmer. Sky zeigt zum Abschluss der 14. Bundesligarunde das Duell Schalke gegen Bayer. Schnell wird klar, dass es für mich fußballerisch das beste Spiel des Wochenendes sein wird. Im Vergleich zum robusten Drittligafußball und dem überwiegend sehr improvisierten Fünftligakick treffen hier zwei Europapokalteilnehmer aufeinander –  und zum Glück sieht man genau das auch. Es sind viele kleine Aktionen, die den Unterschied machen: im richtigen Moment einen Angriff abbrechen, die bessere Anschlussentscheidung finden, den Oberkörper regelmäßig so früh und sauber zwischen Ball und Gegner stellen, dass es eben kein Foul ist. Die vierte Minute einmal ausgeklammert.

Das Spiel findet früh seinen Spannungsbogen, der dann auch noch erstaunlich lange trägt. Schalke fährt in Unterzahl erfolglos Konter um Konter gegen lange ratlose Leverkusener, ehe kurz vor dem Abpfiff Stefan Kießling einen Hakan-Calhanoglu-Freistoß ins lange Eck köpft.

Jede auch nur theoretisch strittige Szene wird sofort aus den verschiedensten Winkeln aufgelöst, Sky-Kommentator Kai Dittmann liefert routiniert Namen, Zahlen und Daten wie auch erste Deutungen des Spielgeschehens. Unmittelbar nach dem Spielende gibt es Interviews mit den Protagonisten – und trotzdem fehlt etwas. Man sieht das Spiel, aber eben auch nicht viel mehr.


„Glotze aus,  Stadion an“

Was verbindet jetzt diese drei Anekdoten? Hat da tatsächlich ein Sportredakteur an seinem freien Wochenende festgestellt, dass Fußball umso hochklassiger wird, je hochklassiger die beteiligten Mannschaften spielen? Nein, unter dem Strich ist diese Sammlung einfach nur ein Plädoyer für den Stadionbesuch. Und zwar fast unabhängig davon, wer spielt und wie gut.

Weil es nun mal das beste Gefühl der Welt ist, wenn verfrorene Füße in Bus oder Bahn langsam wieder auftauen. Weil Stadionwurst besser schmeckt als alles, was man daheim im Kühlschrank hat. Immer. Weil man in Münster direkt nach dem Paderborner Führungstreffer zur Gästekurve schauen kann und sieht, dass zwar der Vorsänger noch oben steht, aber zwei andere Fans auf die Laufbahn gepurzelt sind. Offensichtlich unverletzt.

Weil in Barmbek nach dem Schlusspfiff ein kleiner Junge seinem Opa um den Hals fällt, als sei BU jetzt Weltmeister. Weil man dort direkt hinter dem Tor stehen kann, auf das der entscheidende Treffer fällt, und jedes Wort des fluchenden Niendorfer Keepers versteht. (Definitiv nicht zitierfähig.) Weil im Clubheim ein etwas zu gut gekleideter Gast seine sechs Biere mit einem 100-Euro-Schein zahlen möchte und einfach nur misstrauisch angeschaut wird. Und weil das alles schon spannendere und lebendigere Geschichten sind als einfach nur Naldos Notbremse gegen Chicharito und Kießlings Lucky Punch.

Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich nun den rauen Fußballcharme von Münster oder den unterklassigen Pokalfight auf die Spitzenposition setzen soll, in jedem Fall aber landet das TV-Spiel im Wochenendranking nur auf Platz drei. So bequem und mundfertig es auch auf die eigene Couch gekommen sein mag, Regenjacke und dicke Socken gewinnen. Glotze aus, Stadion an, das steht auf einem Transparent in Barmbek. Besser kann man es nicht formulieren.

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